Pferde sind auch nur Menschen
Pferde sind von Natur aus nicht dafür gemacht, Reiter (oder andere Lasten) zu tragen. Außerdem sind sie genauso schief und händig wie wir Menschen.
Man kann sich das so vorstellen, wie wenn ein normaler Mensch eine schwere Reisetasche oder ein nicht mehr ganz kleines Kind tragen muss. In unebenem Gelände, über einen längeren Zeitraum und dann bitte auch noch elegant aussehen. Ich würde meistens auf der rechten Seite tragen, weil ich Rechtshänder bin, versuchen eine Reisetasche über die Schulter zu hängen, um die Hand- und Armmuskulatur zu entlasten, zwischendurch mal auf die linke Seite wechseln, aber nicht lange, denn die ist ja schwächer. Elegant aussehen würde ich dabei nicht und schon bei der Vorstellung tut mir alles weh. Wenn ich das regelmäßig machen würde, würde mein Körper verschleißen. Es gibt menschliche Knochenfunde, bei denen man aufgrund der Abnutzung, aber auch der Ausprägung bestimmter Teile, ziemlich genau sagen kann, welche Berufe die Menschen zu Lebzeiten ausgeübt haben.
Bei gerittenen Pferden ist das ganz genauso. Wenn wir also reiten wollen, ohne dass es tierschutzrelevant wird, müssen wir dafür sorgen, dass es den Pferden dabei gut geht und sie keinen Schaden nehmen.
Dabei sind viele verschiedene Aspekte zu beachten, angefangen beim freundlichen, wohlwollenden Umgang mit dem Pferd, über die möglichst artgerechte Haltung, gute Pflege und Fütterung, passende Ausrüstung bis hin zu einem beweglichen, fühlenden und denkenden Reiter, der mit passendem Training das Pferd in die Lage versetzt, sich unter dem Reiter gesund zu bewegen.
Kurz gesagt: Das Pferd muss in die Mucki-Bude!
Da die meisten Fitnessstudios allerdings weder Mitgliedschaften für Pferde anbieten, noch mit den passenden Geräten ausgestattet sind, muss das Training für die Pferde anderweitig stattfinden.
Das macht den Reiter zum Personal Trainer seines Pferdes, der mit einer Mischung aus Yoga, Pilates und Aerobic die Händigkeit (= Schiefe) des Pferdes mindert, das Gleichgewicht vorne/hinten, rechts/links und diagonal verbessert und die Muskulatur stärkt, die das Pferd braucht, um den Reiter gesund tragen zu können.
Optimierung des Bewegungsablaufs
Ziel des gymnastizierenden Reitens ist ein Pferd, das seinen Reiter verschleißarm trägt. Dazu muss es mit beiden Hinterbeinen abwechselnd gleichmäßig unter den gemeinsamen Schwerpunkt von Pferd und Reiter treten. Solange sich das Bein vor dem Lot des Hüftgelenks befindet, muss es sich beugen und das Gewicht tragen (Last aufnehmen), kommt es im Laufe der Bewegung hinter das Lot, schiebt es die Last vorwärts. Das ist im Prinzip der Beginn eines Bewegungsablaufes, der zu einem nach oben schwingenden Rücken und einer Entlastung der tragenden Strukturen der Vorderbeine führt. Unterschiede ergeben sich unter anderem durch verschieden Gangarten.
Die vorhin schon angesprochene Schiefe des Pferdes äußert sich auch in der unterschiedlichen Nutzung der Beine, sowohl vorne als auch hinten. Ein Vorderbein trägt meistens mehr als das andere, ist dadurch stärker und die Schulter muskulöser. Ein Hinterbein schiebt mehr (oft diagonal und in Richtung der starken Schulter) und tritt dabei meistens nicht unter das gemeinsame Gewicht, sondern etwas am Körper vorbei. Das kann man sich so ähnlich vorstellen wie menschliches Rollerfahren: Das Standbein steht auf dem Roller, macht Minikniebeugen und trägt das Körpergewicht, das Spielbein treibt den Roller an, indem es neben dem Schwerpunkt her die Last nach vorne schiebt.
Das Gewicht muss also von der starken Schulter mit auf die schwächere verteilt werden, um beide Vorderbeine gleichmäßig zu belasten und nicht eines zu überlasten. Außerdem muss das mehr schiebende Hinterbein dazu gebracht werden, auch unter den Schwerpunkt zu treten und Last aufzunehmen.
Im direkten Zusammenhang mit dieser unterschiedlichen Nutzung der Beine steht die natürliche Biegung der Längsachse des Pferdes in eine Richtung. Wie beim Menschen sind die verschiedenen Bereiche der Wirbelsäule unterschiedlich beweglich. Seitlich lässt sie sich in eine Richtung mehr/besser biegen als in die andere (beim Menschen die Seitbeuge links und rechts, da ist vermutlich auch eine Seite leichter). Grund hierfür sind, vereinfacht ausgedrückt, verkürzte Muskelketten auf einer Seite.
Gymnastizierendes Reiten
Ein guter Reiter fühlt, auf welche Art und Weise sein Pferd sich gerade bewegt. Und er weiß, mit welchen Maßnahmen er die Bewegungen des Pferdes verbessern kann (damit meine ich nicht den Einsatz zusätzlicher Ausrüstungsgegenstände).
Durch das gezielte und exakte Reiten von Bahnfiguren, insbesondere Wendungen, gebogene Linien und Handwechsel, wird das Gewicht zwischen den Schulter hin und her balanciert und die natürliche Biegung der Längsachse ausgeglichen.
Mithilfe von Seitengängen kann man man die Schulterpartie des Pferdes so vor der Hinterhand platzieren, dass das mehr schiebende Hinterbein nicht mehr an der Last vorbeilaufen kann.
Die verschiedenen Gangarten, Übergänge zwischen den Gangarten und Tempowechsel können dabei für zusätzliche Dynamik sorgen.
Kombinationen aus der Linienführung, Gangart und ggf. Seitengängen ermöglichen ein sehr individuelles Training des Pferdes.
Dieses Training kann in der Reitbahn, aber auch im Gelände und/oder über Hindernisse erfolgen.
Natürlich muss das Reiten dem Alter, Ausbildungsstand, der Kondition, der Veranlagung und nicht zuletzt der Tagesform des Pferdes angepasst werden. Bekommt das Pferd Muskelkater oder fühlt es sich überfordert, wird es beim nächsten Mal keine Lust mehr auf Training haben. Damit macht man sich als Reiter nur unnötig das Leben schwer.
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